| 1) Der Begriff der EpigenetikDer Begriff "Epigenetik"  tauchte vor ungefähr einer Generation auf. Es entstand der Eindruck, dass es  sich dabei um eine völlig neue Forschungsrichtung handelt. In Lehrbüchern vor  den Achtzigerjahren sucht man den Begriff der Epigenetik vergeblich. Sogar im "Seyffert",  dem größten deutschsprachigen Standardwerk der Genetik [3], kommt der Begriff  "epigenetisch" nur an zwei Stellen, und hier auch nur in Nebensätzen vor. Das Wort "Epigenetik" stammt von "Epigenese". Dieser  Ausdruck  war bereits im 18. Jahrhundert  in Verwendung [1]. Es geht dabei um die Entwicklung von Embryonen zu fertigen  Lebewesen. Die Biologen waren damals der Meinung, dass alle Merkmale des  erwachsenen Organismus als Programm im befruchteten Ei angelegt sind. Dieses  Programm wird nach und nach abgearbeitet, und das bezeichnete man als  "Epigenese". Dieser Begriff tauchte in der Folge in vielen Biologielehrbüchern auch  als Adjektiv auf: "epigenetisch".  Die Mitose ist ein Zellteilungsvorgang, der garantiert,  dass nach der Befruchtung einer Eizelle das neu entstandene Genom vollständig  an die Tochterzellen weitergegeben wird. Bei den höheren Tieren hat während der  ersten Teilungsschritte jede einzelne Zelle die Möglichkeit, sich zu einem  eigenen Organismus zu entwickeln. Das passiert beispielsweise bei eineiigen  Zwillingen. Beide Individuen sind genetisch ident. Bei den nachfolgenden  Zellteilungen kommt es schrittweise zu Differenzierungen. Die genetische  Allmacht der ersten Zellen (Totipotenz) geht verloren und wird zur Pluripotenz.  Eines der  ersten kompakten wissenschaftliche Werke über Epigenetik war das von Vincenzo  Russo: "Epigenetic Mechanisms of Gene Regulation", erschienen 1996 bei Cold  Spring Harbor Laboratory. In diesem Buch findet sich eine neue Definition des  Begriffs Epigenetik, die mit der ursprünglichen Bedeutung nur noch wenig gemeinsam  hat. Bei der "neuen" Epigenetik ging es plötzlich um vererbbare Veränderungen  von Genaktivitäten, die aber keine Mutationen sind, sondern an- und  abgeschaltete Strukturen. Eine weiter gefasste  Definition stammt von Conrad Waddington. Waddington definierte Epigenetik als  "den Zweig der Biologie, der die kausalen Beziehungen zwischen Genen und deren  Produkten beschreibt, die den Phänotyp hervorbringen". [12] Waddington hat die orthodoxen  Neo-Darwinisten ein wenig geärgert, weil er zeigte, dass es interessante  Rückkopplungen zwischen Phänotyp und Genotyp gibt. Das hat nichts mit  Neo-Lamarckismus zu tun, auch wenn Waddington manchmal in diese Ecke gestellt  wurde. In der Folge kam es zu mehreren verwirrenden Definitionen,  eine der neuesten - und noch relativ besten - lautet: "Epigenetik ist ein Zweig  der Molekularbiologie, der sich mit allen Chromosomenbestandteilen, den  Prozessen ihrer Veränderung während des Zellzyklus und der Zelldifferenzierung  sowie mit den Auswirkungen dieser Prozesse auf den Phänotyp befasst." [2]  Ein einfaches Beispiel soll verdeutlichen, worin der  Unterschied zwischen einer "epigenetischen Prägung" und einer Mutation liegt.  Wenn in einer Textverarbeitung das Wort "Tor" fett, kursiv oder farbig  erscheint, so bleibt das Wort "Tor" als Information erhalten. Es ist sogar  möglich, einen Text auszublenden, ohne dass er aus dem Dokument gelöscht wird. Das   wären epigenetische Prägungen. Wenn "Tor" zu "Tür" geändert wird, haben  wir es mit einer Mutation zu tun, die negativ, vorteilhaft oder neutral sein  kann.  Dass Gene an- und abgeschaltet werden, ist keine neue  Erkenntnis. Das Lactose-Operon ist das System, an dem grundlegende Prinzipien der  Gen-Regulation aufgedeckt wurden [3]. Francois Jacob und Jacques Monod  entdeckten 1960 diesen Mechanismus, veröffentlichten ihre Ergebnisse 1961 und  erhielten 1965 den Nobelpreis. Es war der erste Nobelpreis für die Beschreibung  einer Steuerung der Genaktivität. Es ist nicht nötig, genetische Mechanismen genau zu kennen,  um zu verstehen, dass während der Embryogenese unzählige Gene gezielt an- und  abgeschaltet werden. In allen Zellen eines Organismus liegt das gesamte Genom  im Zellkern vor, aber in Nervenzellen sind ganz andere Gene aktiv als in  Bindegewebszellen. In Muskelzellen kommen wegen des Energiebedarfs wesentlich  mehr Mitochondrien und damit mehr ATP-Moleküle vor als in Epithelzellen. So  gesehen ist Epigenetik ein großer Wissensbereich der die Gebiete Biochemie, Molekularbiologie  und Molekulargenetik umfasst.  Während Darwins Theorien von Rassisten missbraucht wurden  ("Überleben des Stärkeren"), war Lamarck der Favorit kommunistischer Ideologen.  In der Sowjetunion unter Josef Stalin wurde Lamarcks Lehre als biologisches  Dogma propagiert. Nicht nur das. Gregor Mendel stand im Kommunismus unter  Generalverdacht, weil er Benediktinerpater und katholischer Prister war. Lamarcks  Hypothesen hingegen wurden vom Biologen Trofim Lyssenko nicht nur verkündet,  sondern auch "bewiesen". Seine Getreidezuchtmethode namens "Jarowisation" war  eine Art früh-epigenetische Methode. Sie führte in eine wirtschaftliche Katastrophe  und beschädigte die Landwirtschaft und die genetische Forschung in der  Sowjetunion auf Jahre. [7] Bild rechts: Geschichte der Naturwissenschaften unter dem Stalinismus.
 Nachdem die ersten vagen Vermutungen aufgetaucht waren,  dass Umwelteinflüsse das An- und Abschalten von Allelen beeinflussen könnten,  gab es für eine Gruppe darwinkritischer Autoren kein Halten mehr. Um die  Jahrtausendwende und im Jahrzehnt danach erschienen populärwissenschaftliche  Bücher, deren Inhalte Biologen und Genetikern erschaudern lassen. Es ging dabei  um nichts anderes als der Versuch, den Lamarckismus wiederzubeleben. 2) Lamarckismus und Darwinismus: Der französische Naturforscher Jean Baptiste de Monet,  Chevalier de Lamarck (1744 - 1829) war der Meinung, die Abstammungslehre  behandeln zu müssen. Damit war er seiner Zeit voraus. Lamarck  fasste Säugetiere, Vögel, Reptilien, Lurche und Fische in der Gruppe der  "Vertebraten" (Tiere mit Wirbelsäule) zusammen. Die beiden anderen damals  bekannten Tiergruppen der Insekten und Würmer nannte Lamarck "Invertebraten"  (Nicht-Wirbeltiere). Lamarck erkannte später, dass diese Einteilung mangelhaft  war. Seine eigenen Untersuchungen führten zu einer besseren Unterteilung des  Tierreiches. So stellte er beispielsweise fest, dass man die achtbeinigen  Spinnen nicht zu den sechsbeinigen Insekten zählen darf und dass die Hummer  nichts mit den Seesternen zu tun haben. Im Zuge seiner Arbeiten entwickelte  Lamarck ein verfeinertes Bild der Tierwelt und in der Folge die erste  Evolutionstheorie.
 Lamarck behauptete, die "marche de la nature" unterliege  wenigen Gesetzen: Die Wirkung von Umwelteinflüssen auf die Entwicklung von  Organen, die Veränderungen im Körperbau, die abhängig vom Gebrauch von  Körperteilen seien, sowie die Vererbung erworbener Eigenschaften.  Lamarck kommt der Verdienst zu, einen Weg gewiesen und den nachfolgenden großen  Männern der Biologie wie Alfred Russell Wallace, Charles Darwin und Thomas Henry  Huxley grundlegende Denkanstöße geliefert zu haben. Lamarck, der übrigens den  heute üblichen Begriff "Biologie" prägte, starb verarmt 1829. Lamarcks Lebenswerk darf trotz seines Irrtums (Vererbung  erworbener Eigenschaften) nicht geschmälert werden. "Lamarck schrieb 1809 eine  zweibändige ‚Philosophie zoologique' … Aber gerade dadurch wurde Lamarck zum  Vorgänger Darwins, insbesondere der modernen Evolutionstheorie und damit der  Biologie des 20. Jahrhunderts. Lamarck, Darwin und andere haben die  neuzeitliche Biologie erst begründet." [10]    Charles Darwin entwickelte ein Konzept, das sich  grundsätzlich bewährt hat: In der belebten Natur herrscht eine Vielfalt. Die  jeweils besser angepassten Individuen haben eine statistisch höhere Chance zur  Fortpflanzung als weniger angepasste.
 Von einem "Überleben" des Stärkeren", wie  das Sozialdarwinisten behaupten, hat Darwin nicht gesprochen. Leider kannte  Darwin die Ursachen der (genetischen) Vielfalt nicht, also bediente er sich bei  Lamarck, was Darwinkritiker nach wie vor süffisant anmerken.    3) Von der Epigenetik zum Neolamarckismus:Der Genetiker weiß, dass man viele Individuen oft  über mehrere Generationen gezielt einkreuzen muss, um den Erbgang eines bestimmten  Allels auf die Spur zu kommen. Studien, die von lamarckistischen Epigenetikern  als "Beweis" angegeben werden, taugen nicht einmal als Indiz. Eine Studie beschreibt  beispielsweise einen Effekt in der Bevölkerung der schwedischen Stadt  Överkalix: Die Ernährung der Großeltern, insbesondere der Großväter, kann sich angeblich  im Phänotyp ihrer Enkel niederschlagen. Hatten Großväter in ihrer Kindheit  einen reich gedeckten Tisch, dann erkrankten mit fortschreitendem Alter ihre  Enkelsöhne an Diabetes. Kein Genetiker der Welt kann dies als Beweis für die Vererbung  erworbener Eigenschaften gelten lassen.  Autoren mahnen zu großer Vorsicht: "Die Idee der  Erblichkeit epigenetischer Eigenschaften ist faszinierend, doch erschwert sie  auch Lösungsansätze und Vorhersagen für die Evolution genetischer Variabilität,  wie sie bisher mit unseren klassischen Selektionsmodellen möglich sind." [4] An  anderer Stelle schreiben sie ausdrücklich, dass der Verdacht der Neubelebung  des Lamarckismus besteht: "Offensichtlich holt die Epigenetik Lamarcks Idee von  erworbenen vererbbaren Eigenschaften zurück in die Genetik".  [4]  Genau das versuchen einige Autoren, denen die Darwinsche  Evolutionstheorie zuwider ist. Drei Bücher seien erwähnt, die von Fehlern und  Missdeutungen nur so strotzen.  "Welche Rolle spielen die Gene? In den Medien werden sie  vielerorts als die Verantwortlichen allen Übels hochgespielt". [5] Von Genen als "Verantwortliche allen Übels" hat noch kein seriöser  Genetiker gesprochen. Jeder Genetiker, der auch von Ökologie und  Evolutionsbiologie eine Ahnung hat, weiß, dass Umweltbedingungen und genetische  Vielfalt durch Anpassung und Selektion in permanenter Wechselwirkung liegen.  "Der alte Streit zwischen denjenigen, die Gene für die  allein Verantwortlichen für alle Körpervorgänge halten, und den anderen, die  Umwelteinflüsse für wichtiger halten, ist Schnee von gestern. Beide, Gene und  Umwelt wirken zusammen." [5] Dass Individuen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, ist  längst bekannt und gründlich erforscht. Welche starke Wirkung die Umwelt hat,  hat kein Geringerer als Charles Darwin im 19. Jahrhundert erkannt. Zur  Erinnerung: Darwins Theorie ist eine Umwelt-Selektionstheorie ("Natural  Selection").   "Das Jahrzehnt der Genetik ist schon lange vorbei. Wir  befinden uns jetzt mitten im Jahrzehnt der Epigenetik. In diesem Feld passieren  derzeit die wichtigsten und aufregendsten Dinge der Molekularbiologie. Wir  stehen an der Schwelle zu einem neuen Denken in der Biologie, an der Schwelle  zur postgenomischen Gesellschaft' … " [6]
 Es gibt kein "Jahrzehnt der Genetik". Die klassische  Genetik entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem die im 19. Jahrhundert  von Gregor Mendel entdeckten Grundlagen der Genetik wiederentdeckt worden  waren. Die Gentechnik entstand erst in den Neunzehnhundertsiebzigerjahren. Der  Ausdruck "postgenomische Gesellschaft" ist nichtssagend. Er ist genauso  unsinnig, wie es "postelektrische" oder "postchemische Gesellschaft" wäre. "Die These von der … Epigenetik trifft mitten ins Herz der  Biologie. Denn sie nährt den Verdacht, dass Jean Baptiste de Lamarck, der  einstige Gegenspieler des großen Charles Darwin …" [6] Hier wird die Katze aus dem Sack gelassen. Es geht um den Lamarckismus.  Darwin war zudem kein Gegenspieler von Lamarck, sondern bediente sich mangels  brauchbarer Theorien bei einigen seiner Hypothesen. Hätte Darwin Mendels  Erbgesetze gekannt, dann hätte er den (vorläufigen) Schlussstein zu seinen Theorien gehabt, was  er zu Lebzeiten vermisst hat. Lamarcks Hypothesen der Vererbung erworbener  Eigenschaften wurden durch die moderne Biologie weitgehend widerlegt. "… musste die Genetik bereits seit 1984 mit ansehen, wie  einer ihrer fundamentalsten Grundsätze bröckelte: die Mendelschen  Vererbungsregeln. Seit exakt 25 Jahren ist klar, dass diese Regeln nicht immer  gelten." [6] An den Mendelschen Regeln bröckelt nichts. Gregor Johann  Mendel hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals aufgedeckt, dass  Gene (er benutzte damals andere Ausdrücke) als diskrete Einheiten nach  bestimmten Regeln von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Der  Autor macht sich in seinem Buch über Gregor Mendel lustig, ohne zu wissen, dass  die Mendelschen Regeln selbstverständlich nach wie vor gültig sind - mit den entsprechenden Erweiterungen der modernen Genetik. Wir haben  in allen Wissensbereichen ähnliche Entwicklungen. Die Quantenphysik und die Relativitätstheorie  gelten als Erweiterung der klassischen Mechanik, haben deren Gesetze jedoch nie  ausgehebelt. Das Gleiche gilt für Mendel. Die moderne Genetik ist eine massive  Ausweitung der klassischen Genetik, aber kein Genetiker denkt daran, Mendels  Regeln für falsch zu erklären.  Das dritte Mendelsche Erbgesetz, das heute noch  unterrichtet wird, ist ein Sonderfall und gilt nur für nicht gekoppelte Gene (Genloci,  die nicht auf demselben Chromosom liegen). Es sollte im Schulunterricht daher nicht  besprochen werden, weil es Schüler mehr verwirrt als Zusammenhänge erklärt. Das  konnte Mendel damals noch nicht wissen. In der Zwischenzeit hat sich viel  geändert. Selbstverständlich gibt es Erbgänge, wie etwa die X-chromosomalen,  die nicht den klassischen Mendel-Regeln entsprechen. Auch sind längst  Mechanismen bekannt, die als "non Mendelian Heredity" in der Fachliteratur  erwähnt werden. (Bild rechts: Mendel).
 "Aber genau das bedeutet, dass unsere Evolution nicht nur,  wie eben einst Charles Darwins Schüler propagierten und wir im  Biologieunterricht lernten, durch jene zufälligen Mutationen erfolgte, sondern  auch durch ständige Kommunikation mit der Umwelt." [8] Hier wird ein Fehler begangen, der leider immer und immer  wieder in populärwissenschaftlichen Büchern auftaucht. Der Autor schreibt zwar  über die Evolutionstheorie, kennt aber keine Details. Darwins Theorie war eine Selektionstheorie,  das kann man nicht oft genug wiederholen. Selbstverständlich hat kein  Evolutionsbiologe jemals in Zweifel gezogen, dass die Umwelt eine bestimmende Kategorie  in der Evolution ist. "Lange galt es als ein Dogma der Biologie: Unsere Gene  schreiben fest, wie wir sind, was für Fähigkeiten wir haben und welche  Krankheitsrisiken wir haben. Heute weiß man: Diese Ansicht ist zu einfach." [8] Es gibt in den Wissenschaften im Gegensatz zu Religionen  und Ideologien keine Dogmen. Der Autor ist selbst Theologe, er scheint von der religiösen  Dogmatik auf die Biologie zu schließen. Es gibt jedenfalls die Erkenntnis, dass  wir Menschen von unseren Genen stark geprägt sind. Das ist unbequem, kann aber  nicht einfach weggewünscht werden. Der Vorwurf, die Ansicht sei "zu einfach",  ist obsolet. Es waren und sind die Biochemiker, Genetiker und  Molekularbiologen, die längst klargemacht haben, dass die belebte Natur nicht  "einfach" ist. "Mit dem Vokabular seiner Zeit sprach Darwin von einem  ‚Seelchen', das vom Körper in die Keimzellen geht. Das Seelchen war ein Stoff,  eine Chiffre für etwas, das man nicht genau benennen konnte, ein Signal, das  eben von der Körperzelle in die Keimzelle gelangt. Einzig die Neodarwinisten  haben dieses Seelchen verbannt, weil sie offensichtlich nichts Umweltprägendes  akzeptieren wollten. Mithin war schon Darwin – wie der französische Botaniker  und Zoologe Jean Baptiste Lamarck – ein überzeugter Epigenetiker." [8] Damit werden der Lamarckismus und groteskerweise der  Darwinismus mit der Epigenetik gleichgesetzt. Es ist bis heute kein eindeutiger  Fall einer induzierten, gerichtet auftretenden epigenetischen Vererbung beim  Menschen bekannt. Ausschließlich phänotypisch orientierte Studien deuten eventuell  in Richtung solcher Phänomene. So wird ein Einfluss der Ernährungssituation in  Kindheit und Jugend auf Body-Mass-Index und Sterblichkeit bis in die Generation  der Enkel beobachtet. Der molekulare Beweis für definierbare epigenetische  Vererbung fehlt aber völlig. Die Mechanismen, wie epigenetische Effekte über  Generationen beim Menschen weitergegeben werden, sind zwar Gegenstand aktueller  Forschung – blieben bislang aber ohne konkrete Ergebnisse.  Der Umstand, dass bei einigen Pflanzenarten eine Vererbung  erworbener epigenetischer Informationen möglich erscheint, befeuert die  Phantasien und lässt einige Autoren die Epigenetik immer wieder in die Nähe des  Lamarckismus rücken. Beispiele epigenetisch gesteuerter Vererbung in Pflanzen,  falls sie überhaupt nachweisbar sind, sind jedoch auf die menschliche Vererbung  nicht übertragbar. Diesen Fehler machen so gut wie alle  populärwissenschaftlichen Autoren.  Die schärfsten Argumente gegen den Versuch, Epigenetik und  Lamarckismus zu vermählen, finden sich bei Storch/Welsch/Wink. Bei  Säugetieren wird die Vererbung erworbener epigenetischer Modifikationen unter  anderem durch die Löschung (!) elterlicher epigenetischer Programme während der  Keimzell- und Embryonalentwicklung sogar verhindert. Eine gerichtete Vererbung  "erworbener" Eigenschaften ist daher bei Säugetieren (vermutlich auch bei  anderen Tierklassen) auszuschließen: "Konzeptionell fehlt im Fall epigenetischer  Vererbung eine Zweckgebundenheit, die für den Lamarckismus ein wesentliches  Merkmal darstellt." [9] Wenn erworbene epigenetische  Markierungen eine evolutionäre Kraft sein sollen, müssten sie nicht nur auf den  direkten Nachkommen übertragen werden, sondern stabil von den Nachkommen wieder  auf deren Nachkommen - über viele Generationen hinweg. Für diese Vererbung  epigenetischer Markierungen über Generationen hinweg gibt es - wenn überhaupt -  nur schwache Hinweise.  Auch wenn  erworbene und vererbbare epigenetische Markierungen eine gewisse Rolle spielen sollten,  so können dadurch allein keine völlig neuen Organe oder Systeme entstehen wie  etwa die Wirbelsäule oder Flügel. Das geht nur über den zähen Prozess von  Mutation und Selektion. Die Epigenetik ist - nota bene – eine  Kategorie der modernen Biologie, somit keine Pseudowissenschaft. Der Versuch  jedoch, sie für einen Neolamarckismus einzusetzen bzw. zu missbrauchen und  damit gleichzeitig die auf Darwins Theorien beruhende moderne  Evolutionsbiologie auszuhebeln, darf als grandios gescheitert bezeichnet  werden. 
 [1]  R. Knippers: "Eine kurze Geschichte der Genetik"; Springer Spektrum (2012). [2]  V. Krauß: "Gene, Zufall, Selektion"; Springer Spektrum (2014).  [3]  W. Seyffert: "Lehrbuch der Genetik"; Spektrum akademischer Verlag (2003). [4]  J. Tomiuk, V. Loeschcke: "Grundlagen der Evolutionsbiologie und formalen Genetik;  Springer Spektrum (2017). [5]  J. Bauer: "Das Gedächtnis des Körpers" (Ut. Wie Beziehungen und Lebensstile  unsere Gene Steuern), PIPER (2011). [6]  P. Spork: "Der zweite Code" (Ut. Epigenetik oder: Wie wir unser Erbgut steuern  können), rororo (2011). [7]  S. Ings: "Triumph und Tragödie" (Ut. Stalin und die Wissenschaftler); Hoffman  und Campe (2018). [8]  J. Huber: "Liebe lässt sich vererben" (Ut. Wie wir durch unseren Lebenswandel  die Gene beeinflussen können); Zabert Sandmann  (2010). [9]  V. Storch, U. Welsch, M. Wink: "Evolutionsbiologie" Springer Spektrum (2013). [10]  M. Neukamm: "Darwin heute" (Ut. Evolution als Leitbild in den modernen  Naturwissenschaften); Wissenschaftliche Buchgesellschaft (2014). [11]  C. H. Waddington: "The genetic assimilation of the bithorax phenotype".  Evolution 10, 1-13, 1956  |